In seinem „Nochmal für Alle“ betitelten SZ-Artikel erklärt der promovierte Jurist Ronen Steinke auf Grundlage von Artikel 2, Abs. 1 des Grundgesetzes: „Wenn der Staat den Menschen etwas verbieten möchte (zum Beispiel: ihr Geschlecht selbst zu bestimmen), dann muss er dies mit einer Gefahr für die Rechte anderer Bürger begründen können.“ Daraus leitet Steinke ab, dass ein jeder das Recht habe, sich frei auszusuchen, „als was er oder sie gern kategorisiert werden möchte, als Mann oder Frau (oder als keines von beiden: divers)“, und dass der Staat dazu immer „Ja“ zu sagen habe. Dies ist genau das, was das von der Ampel als „progressiv“ beworbene „Selbstbestimmungsgesetz“ vorsieht. Steinkes Ableitung ist jedoch philosophisch und rechtlich ungültig.
Es ist nicht verboten, sondern unmöglich sein Geschlecht zu ändern
Die Verwirrung beginnt damit, dass Steinke nicht erklärt und vermutlich selbst nicht weiß, was er mit „Geschlecht“ meint. Die Verfassungsgeber wussten das schon. Wie dem überwältigenden Rest der Menschheit war ihnen klar, dass sich die Geschlechter anhand ihrer unterschiedlichen biologischen Rollen bei der Fortpflanzung unterscheiden. Das weibliche Geschlecht produziert Eizellen, das männliche Spermien. Ohne Fusion der unterschiedlichen Keimzellen keine Fortpflanzung (daher sahen die Verfassungsgeber die Ehe in Form der Verbindung zwischen Mann und Frau als Keimzelle des Staates). Sein Geschlecht in diesem Sinne kann man nicht ändern (Operationen an Geschlechtsmerkmalen sind keine „Geschlechtsumwandlungen“). Es war aber nie verboten, es zu ändern (und Feministinnen wie Kathleen Stock und Alice Schwarzer verbieten es auch nicht). Folglich schafft das „Selbstbestimmungsgesetz“ weder die Freiheit noch die Möglichkeit, sein Geschlecht zu ändern.
Der Staat ist nicht verpflichtet, die irrigen Selbsteinschätzungen seiner Bürger amtlich als realitätskonform zu bestätigen
Es soll jedoch den Staat dazu verpflichten, den amtlichen Geschlechtseintrag einer Person auf deren bloßes Verlangen hin zu ändern. Steinke tut so, als ließe sich diese Pflicht direkt aus dem Verfassungsartikel über die freie Entfaltung der Persönlichkeit ableiten. Er meint, dass es möglich sein müsse, staatliche „Anerkennung dafür zu bekommen, dass man sich dem bei Geburt zugeschriebenen Geschlecht nicht zugehörig fühlt.“ Das ist falsch. Der Grundgesetzartikel verpflichtet den Staat lediglich dazu, z. B. einen männlichen Bürger nicht daran zu hindern, sich „Frau“ zu nennen oder Kleider zu tragen. Er verpflichtet den Staat jedoch keineswegs dazu, die Gefühlsregungen oder Selbsteinschätzungen seiner Bürger in deren Pässe einzutragen und als realistisch „anzuerkennen.“ Der Bürger hat so wenig Anspruch darauf, dass der Staat in seinem Pass über sein tatsächliches Geschlecht lügt, wie er Anspruch darauf hat, dass er über sein Geburtsdatum oder seinen Geburtsort lügt, ganz gleich, ob der Bürger sich zur falschen Zeit am falschen Ort im falschen Körper geboren wähnt oder nicht. Den „rational verallgemeinerbaren Grund”, den Steinke verlangt, um “Leute weiter in ein Geschlecht einzusortieren, das sie von sich weisen”, nennt man Wahrheit.
Das sogenannte „Selbstbestimmungsgesetz“ gefährdet fundamentale Rechtsgüter
Gegen das Selbstbestimmungsgesetz spricht aber nicht nur, dass der Staat nicht verpflichtet ist, irrige Selbsteinschätzungen seiner Bürger als realitätskonform anzuerkennen, sondern auch, dass er sehr wohl verpflichtet ist, keine Gesetze zu erlassen, welche „mit einer Gefahr für die Rechte anderer Bürger“ einhergehen. Jedoch läuft das „Selbstbestimmungsgesetz“, worauf insbesondere Elternverbände, genderkritische Feministinnen und tatsächliche Liberale wiederholt hingewiesen haben, auf eine Verletzung von Elternrechten, Frauenrechten, Kindeswohl sowie Rede- und Gewissensfreiheit hinaus. Steinke teilt solche Bedenken nicht nur nicht, er erwähnt sie nicht einmal. Diese nonchalante Haltung steht sehr im Gegensatz zum Grundgesetz.
© Uwe Steinhoff 2022
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