Erwiderung auf Juliane Jünglings und Geert Keils Zeit-Artikel „Wovon hängt ab, wer eine Frau ist?“
Ein kürzlich erschienener Aufsatz in der Zeit fragt im Teaser, was „die“ Philosophie dazu sagt, dass sich künftig auf Basis des PR-wirksam so genannten Selbstbestimmungsgesetzes“ der Ampelkoalition jeder Mann amtlich wirksam in eine Frau umdeklarieren können soll. Tatsächlich bietet uns der Aufsatz aber nicht die Einschätzung der Philosophie, sondern lediglich die seiner zwei Autoren, Juliane Jüngling und Geert Keil. Ich widerspreche dieser Einschätzung.
Wovon hängt es ab, eine Frau zu sein?
Die Titelfrage des besagten Aufsatzes ist grundlegender: „Wovon hängt ab, wer eine Frau ist?“ Die beiden Autoren stellen zunächst richtig fest (verstehen die Definition allerdings so wenig wie deren biologische Präzisierung, mehr dazu später): „Eine Frau ist eine erwachsene Person weiblichen Geschlechts. So sagt es der Duden. Die Hauptbedeutung von ‚weiblich‘ ist laut Duden ‚dem Geschlecht angehörend, das Eizellen bildet‘.“ Genau. Damit ist geklärt, wovon es abhängt, wer eine Frau ist. Geklärt ist damit auch, dass Transfrauen keine Frauen sind. Wie die Autoren die Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard korrekt zitieren: „Der Gesetzgeber kann gar keine Geschlechtsumwandlung ermöglichen.“ Richtig. Allenfalls kann er die Änderung eines Geschlechtseintrags in einem Dokument ermöglichen. Er kann also über das Geschlecht eines Bürgers amtlich lügen.
Die beiden Autoren sind allerdings mit der Dudendefinition nicht zufrieden. Für diese Unzufriedenheit liefern sich jedoch keine überzeugenden Gründe. So erklären sie im Anschluss and das Nüsslein-Volhard Zitat: „Diese Darstellung entspricht nicht den einschlägigen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts. Im Urteil von 2017 sagt das Gericht: ‚In den medizinischen und psychosozialen Wissenschaften besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass sich das Geschlecht nicht allein nach genetisch-anatomisch-chromosomalen Merkmalen bestimmen oder gar herstellen lässt, sondern von sozialen und psychischen Faktoren mitbestimmt wird.‘“ Diese Aussage des Gerichts ist jedoch schlicht falsch. Zudem ist das Gericht weder eine biologische noch eine psychologische noch eine sprachliche Autorität. Und es ist bezeichnend, dass das Gericht zu seiner Entscheidung keinen einzigen Biologen gehört hat und übrigens auch keine Frauenrechtsorganisation (die Interessen von Frauen waren ihm entweder egal, oder es hatte nicht die Weitsicht zu erkennen, dass diese betroffen waren) – dafür aber Organisationen, die unverbrämt der Transgenderideologie, inklusive dem Diktum „Transfrauen sind Frauen“ frönen. Anders gesagt, das BVerfG ist, wie ich andernorts ausführlich argumentiert habe, einer Ideologie auf den Leim gegangen. Vielleicht sollten Jüngling und Keil, als Philosophen, sich mit solchen philosophischen Argumenten auseinandersetzen, statt sich unkritisch auf die in linguistischen und biologischen Fragen nicht vorhandene Autorität des BVerfG zu berufen.
Es gibt keinen guten Grund, von der biologische präzisierten Dudendefinition von „Frau“ abzuweichen
Zudem erklären die beiden Autoren: „Die Frage, ob ‚Frau‘ und ‚weiblich‘ primär biologische Kategorien sind, ist nicht selbst eine biologische Frage. Sie ist eine Meta-Frage, die sich auch normativ wenden lässt: Was sollten wir vernünftigerweise unter ‚Frau‘ verstehen? Was spricht für, was gegen Erweiterungen des hergebrachten Wortgebrauchs?“
Erstens verwechseln Jüngling und Keil hier Kategorien mit Worten. Worte sind Schrift- beziehungsweise Lautzeichen. Das deutsche Wort „Frau“ und das spanische Wort „mujer“ sind unterschiedliche Worte, aber sie bringen denselben Begriff, dieselbe Kategorisierung zum Ausdruck. Deutsche und Spanier, in der Tat alle Völker, kategorisieren viele Dinge in derselben Weise, das heißt, sie sehen auffällige Gemeinsamkeiten zwischen bestimmten Dingen und ordnen sie derselben Klasse zu. Zum Teil ist dies überlebenswichtig. Wer Löwen und Gazellen nicht voneinander unterscheiden kann, wird sich in der Savanne nicht fortpflanzen, sondern gefressen werden. Apropos Fortpflanzung: Die Menschheit fand es – und nur Genderideologen wird das überraschen – überaus sinnvoll, den Begriff einer Klasse von Organismen zu bilden, die Eizellen produziert beziehungsweise Kinder gebiert. Welchen Sinn es hingegen macht, Frauen und Männer in Perücken, die sich für Frauen halten, in denselben kategorialen Sack zu stecken, ist unklar. Jüngling und Keil selbst liefern gewiss keine Antwort auf diese Frage. In der Tat bleiben sie jedwede Antwort auf ihre selbstgestellte Frage: „Was spricht für, was gegen Erweiterungen des hergebrachten Wortgebrauchs?“ schuldig.
Eine hypothetische Antwort kann man geben: Wenn die Außerirdischen uns glaubhaft drohen, alle Deutschen auszurotten, es sei denn wir benutzen das Wort „Frau“ von nun an für Toaster oder Männer in Kleidern, dann sollten wir vernünftigerweise das Wort Frau für Toaster oder Männern in Kleidern benutzen. Dann würden wir freilich mit dem Wort „Frau“ von etwas anderem sprechen als von Frauen. Die Kategorie bliebe unverändert, wir bezögen uns auf sie nur mit einem anderen Wort. Anders gesagt, Männer verwandeln sich nicht dadurch in Frauen, dass wir sie mit dem Wort „Frau“ bezeichnen (Sie können das zu Hause testen). Kategorien und Worte sind nicht dasselbe. Und dass einige Männer in ihrer narzisstischen Selbstwahrnehmung gekränkt werden, wenn man sie nicht als „Frauen“ bezeichnet, ist, anders als unser Science Fiction Beispiel, kein hinreichender Grund für einen geänderten Wortgebrauch. Es werden sich schließlich auch sehr viele Frauen – von denen gibt es mehr als von besagten Männer – von dem geänderten Wortgebrauch gekränkt fühlen; zudem gibt es keine Pflicht, anderer Menschen Selbstwahrnehmung zu bestätigen. Es gibt vielmehr ein Recht auf Meinungs-, Gewissens- und Wissenschaftsfreiheit.
Zweitens ist es auch schlicht falsch, dass sich die Frage, ob sich die Worte ‚Frau‘ und ‚Mann‘ auf biologische Kategorien beziehen, „normativ wenden“ lasse. Dies sind vielmehr unterschiedliche Fragen, die eine ist deskriptiv, die andere normativ. Die deskriptive Frage ist schlicht eine Frage nach dem Wortgebrauch, und der lässt sich sehr wohl „durch Nachschlagen im Duden beantworten“. Der Wortgebrauch in Deutschland bezüglich des Wortes „Frau“ ist so, wie der Duden es sagt. Wer behauptet „Transfrauen sind Frauen“ redet entweder selbstwidersprüchlichen Unsinn oder spricht eine Privatsprache. Es steht ihm frei privat eine Privatsprache zu sprechen. Es steht uns frei, an der öffentlichen Sprache festzuhalten – ob das die Gefühle irgendwelcher Männer oder die politischen Phantasmagorien der Ampelkoalition beeinträchtigt oder nicht.
„Frau“ ist kein Bündelbegriff
Jüngling und Keil meinen allerdings, der Duden hinke der Zeit hinterher. Angeblich sei „Frau“ mittlerweile ein „Bündelbegriff“. Sie meinen: „Gehörte die Sprachphilosophie Wittgensteins zur Pflichtlektüre von Verfassungsrichtern, so hätte das Gericht längst die Idee des Bündelbegriffs erwogen.“ Dem ist umgekehrt zu entgegnen: Gehörten der Duden und biologische Fachbücher zur Pflichtlektüre von Verfassungsrichtern, wäre die unsinnige Entscheidung des BVerfG gar nicht erst zustande gekommen.
Und wie kommen Jüngling und Keil darauf, dass „Frau“ ein Bündelbegriff sei? Sie erklären, Wittgensteins Beispiel nehmend, es sei „verblüffend schwierig, ‚Spiel‘ zu definieren.“ Schon möglich. Allerdings ist es, wie wir oben sahen, bestechend einfach, Frau zu definieren. Die Wörterbücher anderer Sprachen haben damit auch keine Probleme. Offenbar ist Frau also kein schwer zu definierender „Bündelbegriff“. Und auch normativ gesprochen ist es alles andere als „vernünftig“, eine glasklare von der überwältigenden Mehrheit der Menschheit anerkannte Definition des Begriffs Frau mit irgendeinem schwammigen „Bündelbegriff“ zu ersetzen. Der Klarheit des Denkens dient das sicher nicht.
Jüngling und Keil allerdings meinen allen Ernstes, der Übergang zum Bündelbegriff sei bereits vollzogen. „Es spricht einiges dafür, dass auch ‚Frau‘ und ‚Mann‘ mittlerweile Bündelbegriffe sind. Die meisten Frauen besitzen zwei X-Chromosomen, Eizellen und eine Gebärmutter. Die meisten Frauen menstruieren im Laufe ihres Lebens, viele können schwanger werden, manchen ist dies aus biologischen Gründen nicht möglich.“ Inwiefern das Phänomen der chromosomalen Anomalie (etwa nur ein X-Chromosom) oder jenes der Unfruchtbarkeit ein Argument dafür sein sollte, dass es sich bei Frau um einen Bündelbegriff handelt, ist rätselhaft. Es gibt hier keinerlei logischen Zusammenhang.
Dies sieht man unter anderem daran, dass Medizinnobelpreisträgerinnen wie auch die Mitglieder der von Jüngling und Keil gescholtenen Biologie- und „Duden-Fraktion,“ zu welcher auch ich gehöre, sehr wohl wissen, dass auch Frauen mit Turner-Syndrom sowie unfruchtbare Frauen Frauen sind. Offenbar definieren sie also weibliche Wesen nicht einfach als Wesen, die tatsächlich Eizellen produzieren. Denn diese Fraktion hat, anders (wie ich oben bereits in Klammer andeutete) als Jüngling und Keil, sowohl die Dudendefinition als auch deren biologische Präzisierung verstanden. Wenn der Duden nämlich erklärt, „weiblich“ meine, „dem Geschlecht angehörend, das Eizellen bildet“, so ist darauf hinzuweisen, dass das weibliche Geschlecht, welches eben Eizellen bildet, nicht aus einem einzigen Individuum besteht. Man kann dem kollektiv Eizellen produzierenden Geschlecht auch angehören, ohne selbst aktuell oder auch nur im Verlaufe seines Lebens Eizellen zu produzieren. Wie Biologinnen wie Nüsslein-Volhard natürlich wissen, gibt es nicht nur das Phänomen der Menopause, sondern auch jenes der Funktionsstörung. Anders gesagt, um dem Geschlecht anzugehören, welches Eizellen produziert, muss man nicht tatsächlich Eizellen produzieren, sondern lediglich einen Körper haben, welcher funktional – Biologen interessieren sich sehr für biologische Funktionen – auf deren Produktion hin ausgerichtet ist. Wie ich dies andernorts formulierte: „Die Biologie definiert Geschlecht noch präziser als Entwicklungsrichtung eines Organismus hin auf die Produktion einer bestimmten Art von anisogametischen (ungleichartigen) Keimzellen. … Die Rede von der bloßen ‚Entwicklungsrichtung‘ trägt dem Umstand Rechnung, dass aus verschiedenen Gründen nicht jedes Individuum eines Geschlechts auch tatsächlich die entsprechenden Keimzellen produzieren wird, und die Bezugnahme auf Keimzellen bedeutet, dass Gehirnstrukturen, Verhaltensweisen, sexuelle Orientierung, Aussehen, Hormone und selbst Chromosomensätze der Unterscheidung von weiblichen und männlichen Organismen ausdrücklich nicht zugrunde liegt.“ Diese Definition ist kein „Bündelbegriff“ und umfasst auch weibliche Wesen, Frauen eingeschlossen, die unfruchtbar sind, nicht menstruieren oder Störungen der geschlechtlichen Entwicklung aufweisen. Kurz, Jüngling und Klein haben kein einziges schlüssiges Argument dafür, dass Frau ein „Bündelbegriff“ ist. Vielmehr ist die Duden-Definition von „Frau“ als „erwachsene Person weiblichen Geschlechts“ im Zusammenhang mit der biologischen Präzisierung des Begriffs „weiblich“ perfekt.
Misogyne Rechtssetzung: Ehrlich mit Duden, hinterlistig mit Begriffsklitterung
Jüngling und Keil erklären des Weiteren: „Es ist klüger, die Einstufung einer Person
am jeweiligen Regelungsbedarf festzumachen. Für die regelungsbedürftigen Fälle, auch und gerade für die normativen Fragen der Zugangsrechte, sind jeweils unterschiedliche Fasern des Bündels relevant. Es ist nicht in jedem Kontext derselbe Aspekt des Frauseins, der eine bestimmte Einstufung oder Behandlung rechtfertigt.“ Klüger? Inwiefern? Strategisch klüger zur Durchsetzung der egozentrischen misogynen Interessen von Männern, die sich als Frauen deklarieren? Das mag schon sein. Vernünftig ist es jedoch sicher nicht.
Erstens ist das „sich als Frauen identifizieren“, anders als Jüngling und Keil zu meinen scheinen, kein „Aspekt des Frauseins“. Frauen, worauf genderkritische Feministinnen immer wieder hinweisen, „identifizieren“ sich nicht als Frauen, sie sind es einfach. Einzig bestimmte Männer „identifizieren“ sich als Frauen. Sie sind es allerdings nicht. Sich „als Frau zu identifizieren“ ist also kein Aspekt des Frauseins, sondern des männlichen Transseins.
Zweitens, warum sollten vermeintlich „regelungsbedürftige Fälle“ es erfordern, das Wort „Frau“ anders als im Sinne der Dudendefinition zu verwenden? Jüngling und Keil erklären etwa: „Wer sich von der Anwesenheit nackter biologisch männlicher Körper gestört fühlt, ist frei, gemischtgeschlechtliche Räume nicht aufzusuchen.“ Diese Aussage verrät freilich unfreiwillig, dass Jüngling und Keil selbst nicht an ihre Rede vom Bündelbegriff glauben. Denn diesem zufolge wäre eine Sauna voller Frauen und Männer, die sich „als Frauen identifizieren“, ja gar nicht „gemischtgeschlechtlich“, sondern gleichgeschlechtlich. Indem sie dennoch von „Gemischtgeschlechtlichkeit“ reden, beweisen sie, dass sie sehr wohl wissen, was Frauen sind: jedenfalls keine Personen mit männlichen Körpern. Vom „Bündel“ ist hier nichts zu spüren. Wohl aber, mit Verlaub, von einer beeindruckenden Gleichgültigkeit der beiden Autoren gegenüber den Interessen von Frauen.[1] Denn Frauen steht es gerade nicht frei, gemischgeschlechtliche Räume nicht aufzusuchen, wenn sie das andere Geschlecht nicht von weiblichen Räumen ausschließen können. Ein „Selbstbestimmungsgesetz“, welches Männern legal nicht verweigerbaren Zugang zu Frauenräumen ermöglicht, solange diese Männer nur amtlich bestätigt bekommen, sie seien selbst auch Frauen, schafft alle legal nicht gemischtgeschlechtlichen Räume ab. Wenn man diese Abschaffung will, kann man sie jedoch juristisch auch auf Grundlage der Dudendefinition formulieren: „Frauen ist es strengstens verboten, unter sich zu saunen, wenn Männer mit Bärten und Penissen, die vom Staat den Fakten zum Trotz amtlich als ‚Frauen‘ eingetragen sind, ihnen Gesellschaft leisten wollen.“ Dies wäre ehrlich, ließe sich jedoch aufgrund der offensichtlich rücksichtslosen Frauenfeindlichkeit eines solchen Gesetzte der Bevölkerung schwer vermitteln. Und deshalb zieht die grüne Familienministerin Lisa Paus es vor, in Bezug auf in Frauenräume eindringende Männer „keinen weiteren Erörterungsbedarf“ zu sehen, da ja ohnehin gelte: „Transfrauen sind Frauen.“ Kurz, die politisch gewollten misogynen Regeln lassen sich durchaus auch auf Basis der Dudendefinition formulieren. Allerdings machen solche Formulierungen die Verachtung gegenüber Frauenrechten offensichtlich. Strategisch klug im Sinne der Transgenderideologie ist es also, diese Frauenverachtung hinter „Begriffsbündeln“, sprich -klitterungen zu verbergen. „Vernünftigerweise“ – um mit Jüngling und Keil zu sprechen – wird man sich dagegen freilich verwahren.
© Uwe Steinhoff 2022
[1] Diese Gleichgültigkeit zeigt sich auch, wenn Sie abermals unkritisch einer vermeintlichen Autorität folgen. Sie erklären: „Beim Wettbewerbssport kommt es auf Chancengleichheit an. Deshalb wendet der internationale Leichtathletikverband ein biologisches Kriterium an, das als guter Indikator für physische Leistungsfähigkeit gilt: den Testosteronspiegel im Blut.“ Mit Verlaub, dass beim internationalen Leichtathletikverband irgend etwas „gilt“, heißt nicht, dass es wahr ist. Und wenn Jüngling und Keil glauben, dass Männer gegenüber Frauen keinen Vorteil hätten, wenn sie nur denselben Testosteronspiegel aufweisen, dann haben sie sich offenbar nicht informiert – was wiederum ein Ausdruck von Gleichgültigkeit wäre. Zu den tatsächliche diesbezüglichen sportphysiologischen Fakten siehe https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7846503/.